«Ein wunderbares und mutiges Zeichen» − Rheintaler Kulturpreis ans Jüdischen Museum Hohenems
«Es herrscht Freude überall. Plötzlich macht hier alles Sinn, wir geben uns die Hand, wir drehen uns im Kreis, und alle sind dabei und niemand steht am Rand, es wird niemand ausgegrenzt, es gibt keinen Feind, es regiert Gerechtigkeit, die Menschheit ist vereint…». So unverblümt zeitkritisch und stimmig elegant wie das «Duo Karl Kave & Durian» alias Carlo Rainolter und Andrin Uetz den Abend musikalisch eröffneten, so verlief die Preisverleihung. Rund 200 Personen strömten am frühen Freitagabend ins Kinotheater Madlen in Heerbrugg. Zum 13. Mal wurde der Rheintaler Kulturpreis «Goldiga Törgga» vergeben. Zum ersten Mal ging er an eine Institution und zum ersten Mal über die Grenze: ans Jüdische Museum Hohenems.
Die Frage des Zusammenlebens
Die 1991 in der Villa Heimann-Rosenthal im Zentrum des jüdischen Viertels in Hohenems nach langen Vorarbeiten eröffnete Institution erzählt einladend und lebensnah eine exemplarische Geschichte der Diaspora. Für Erwachsene, für Kinder, für alle. Und sie beschäftigt sich mit jüdischer Gegenwart in Europa und in Übersee, auch mit der übergeordneten Frage des Zusammenlebens und der Migration. Entlang der Bruchlinien der regionalen und globalen Geschichte widmet sie sich den Menschen, ihren Erfahrungen und Lebensgeschichten. Attraktive, wechselnde Ausstellungen mit oft provokanten Titeln ergänzen die Dauerausstellung und halten sie aktuell. Im vergangenen Jahr waren es «Ausgestopfte Juden?», eine zukunftsgerichtete Reflexion über museale Praktiken und Inhalte. Mit «Yalla. Arabisch-jüdische Berührungen», Ende September eröffnet, ist der Fokus auf die lange und widersprüchliche Beziehungsgeschichte arabisch-jüdischer Lebenswelten gerichtet.
Mehrdeutigkeit und Komplexität zulassen
Als Laudator vor Ort war Milo Rau. Der international bekannt St. Galler Theater- und Filmregisseur, Kunsttheoretiker und Autor ist seit 2023 Intendant der Wiener Festwochen, denen er unter dem Titel «Freie Republik Wien» ein neues Image verpasst hat. Für die Anreise nach Heerbrugg habe er, aktuell auf seiner «Resistance Now!»-Debattentour durch die Welt, in den letzten 24 Stunden vier Grenzen überquert: die tschechische, die österreichische, die deutsche, die Schweizer Grenze. Entlang dieser «Orgie der Grenzüberschreitungen» als roten Faden wusste Milo Rau in seiner Würdigung das Ausserordentliche und Brisante der Arbeit des Jüdischen Museums, aber auch des Entscheids, es mit dem «Goldiga Törgga» auszuzeichnen, gegenwartsbezogen, mitreissend und in deutlichen Worten herauszuarbeiten. In einer Zeit, die Eindeutigkeit bevorzuge, sei das «Museum Hohenems eine Metapher für ein Konzept der Mehrdeutigkeit, der Offenheit, des grenzenlosen und mehrdimensionalen Verstehens». Auch der Begriff «Grenzüberschreitung» umfasst das Mehrdeutige, denn «auch wenn sie Grenzen lieben, so ist doch auch die Politik der Rechtsradikalen grenzüberschreitend», so Milo Rau. Und er lobt Hanno Loewys Methode der Komplexität, sein grenzüberschreitendes Denken, Kuratieren und Leben. Dieser Preis sei ein «wunderbares und mutiges Zeichen in seiner Zeit, die nach Eindeutigkeit, Reinheit und Ausschluss verlangt.»
Übergabe von Paul Grüningers Handstock
Klug und bescheiden bedankte sich Hanno Loewy für den «Törgga» und bemerkte, dass genau dieser Preis der richtige sei für das Jüdische Museum Hohenems als Ort, wo es um Migration gehe. «Emser Halbmond», eines der ersten Projekte der Institution noch lange bevor er die Leitung übernahm, erforschte die Lebenswelt türkischer Migrantinnen und Migranten. Dafür stehe auch der Mais und der Begriff «Törgga» auf der Schweizer Seite des Rheins. Im Vorarlbergischen wird er mit dem aus dem Slawischen stammenden «Kukuruz» benannt.
Einmal mehr moderierte Christa Köppel als Präsidentin der Rheintaler Kulturstiftung den Abend souverän. Nach der Überreichung von Urkunde und Törgga als Symbol für den mit 15’000 Franken dotierten Kulturpreis an den Leiter des Jüdischen Museums überraschte sie den Empfänger und alle Anwesenden mit einem Handstock, der mit einen Jagdhundekopf am Griff abschliesst, und mit der dazugehörenden Geschichte. Sie handelt von Paul Grüninger, der als St. Galler Polizeikommandant in den Jahren 1938 und 1939 mehrere hundert jüdische und andere Flüchtende vor den nationalsozialistischen Verfolgungen in Schutz brachte, indem er sie mittels Dokumentenfälschungen in die Schweiz einreisen liess. Das musste er hart büssen. Es handelt sich um seinen Spazierstock. Er vermachte ihn mit seinem Tod der heute 85 jährigen Ruth Heller, Künstlerin aus Rheineck – und seine Grossnichte. Ihre Grossmutter und Paul Grüningers Mutter waren Schwestern. Im Auftrag von Ruth Heller ging der Stock nun als Geschenk an Hanno Loewy. Er stehe für menschenverbindendes Tun allgemein und für die geografische und thematische Überwindung von Grenzen in der Arbeit von Hanno Loewy im Besonderen. (pd)
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